Chronik eines Sabbatjahres

Der Grüne Hügel – ein einzigartiges Erlebnis

(16.- 18.August 2010)

 

Lohengrin: Das Frageverbot

Leitmotiv der Oper "Lohengrin": der Mauszeiger bringts zum Klingen

 

Antwerpen, im 10. Jahrhundert. Der Graf Telramund beschuldigt Elsa, die Tochter des Brabanter Herzogs, ihren Bruder aus Machtgier ermordet zu haben. Er bringt die Klage vor König Heinrich. Anstatt sich zu verteidigen, erzählt Elsa von einem Ritter, der ihr im Traum erschienen ist und ihre Unschuld in einem von Gott gelenkten Zweikampf beweisen werde. Der König lässt sich darauf ein, und ein „Gottesgericht“ wird angeordnet. Zweimal fordert der Heerrufer Elsas Streiter auf, hervorzutreten – da erscheint aus der Ferne ein Schwan, der ein Boot mit einem hellstrahlenden Ritter hinter sich herzieht. Der Fremde erklärt, dass er für Elsa kämpfen werde. Zugleich bittet er sie, ihn zu heiraten. Allerdings dürfe Elsa ihn nie nach seinem Namen und seiner Herkunft fragen. Erfreut willigt sie ein – schließlich scheint ihr Traum in Erfüllung zu gehen!

Im anschließenden Zweikampf wird Telramund rasch besiegt. Sein Leben darf er allerdings behalten. Für das Volk und den König gilt der fremde Ritter von nun an als „Held von Brabant“. Sie setzen große Hoffnungen in ihn, auch als Heerführer bei einem geplanten Feldzug.

Während alle in der folgenden Nacht das Hochzeitsfest vorbereiten, schmieden Telramund und dessen Frau Ortrud Rachepläne. Sie wollen Elsa dazu bringen, die verbotene Frage zu stellen. Geschickt gelingt es Ortrud, das Vertrauen der Herzogstochter zu gewinnen, um dann bei ihr Zweifel an der Herkunft ihres zukünftigen Ehemanns zu säen.

Beim Brautzug stellt sich Ortrud in aller Öffentlichkeit Elsa entgegen und bestreitet die Makellosigkeit des „Helden“. Auch Telramund tritt auf und klagt den fremden Ritter des bösen Zaubers an. Er solle endlich seinen Namen und seine Herkunft verraten. Davon unbeeindruckt erklärt dieser, dass er die Frage nur beantworten müsse, wenn sie von Elsa käme. Volk und König vertrauen ihm weiterhin, und der Brautzug wird fortgesetzt. Nur an Elsa nagt der Zweifel.

Im Brautgemach schließlich kann sie nicht anders, allen Liebesbeteuerungen ihres Gatten zum Trotz stellt sie die verbotene Frage. Zugleich stürzt Telramund mit gezogenem Schwert aus einem Versteck auf den Ritter los. Dieser reagiert sofort und erschlägt den Grafen. Dann verlässt er das Gemach und die ohnmächtige Elsa.

Am anderen Morgen erwarten die Krieger und der König ihren Helden. Statt aber mit ihnen den versprochenen Feldzug anzutreten, gibt er Auskunft über seinen Namen und seine Herkunft. Er komme aus dem Reich des heiligen Grals und sein Name sei Lohengrin. Mit diesem Bekenntnis sei seine Macht allerdings am Ende, und er müsse zurückkehren. Verzweifelt bittet Elsa um Vergebung. Doch es gibt keinen Ausweg.

Der Schwan erscheint wieder, um Lohengrin zurück zu holen. Noch einmal tritt Ortrud auf, indem sie triumphierend ihre Tat bekennt: Sie habe Elsas Bruder Gottfried in den Schwan verwandelt, um die Schwester dann des Brudermordes bezichtigen zu können. Wäre Lohengrin ein Jahr in Brabant geblieben, so wäre Gottfried zurückgekehrt. Durch ihre Intrige habe sie das aber verhindert. Das Böse habe somit gesiegt.

Jedoch verwandelt Lohengrin den Schwan zurück in den Herzogssohn. Dann schwebt eine Taube herab und zieht das Boot mit dem Gralsritter fort. König und Volk brechen in einen lauten Wehruf aus. Elsa sinkt tot in die Arme ihres wiedergekehrten Bruders. 

 

 

  

Das Festspielhaus auf dem Grünen Hügel

 

Am Abend

 

Der Innenraum

 

Soviel zur Handlung der Oper „Lohengrin“ von Richard Wagner, des musikalischen Werkes also, mit dem ich nun das Bayreuther Festspielhaus von Innen kennen gelernt habe. Schon seit meiner Schulzeit träumte ich davon, einmal eine Aufführung auf dem „Grünen Hügel“ zu erleben. Leider ist es nicht ganz einfach, eine Eintrittskarte zu bekommen (Die Wartezeiten betragen üblicherweise zwischen neun und zwölf Jahren). Genau das ist mir aber in diesem Jahr durch eine glückliche Fügung gelungen. Und so konnte ich mir den lang gehegten Traum erfüllen.

Um es vorweg zu sagen: ich wurde nicht enttäuscht. Bayreuth ist wirklich ein einzigartiger Aufführungsort. Das, was hier musikalisch geboten wird, ist schlichtweg Weltklasse, sowohl was die Orchestermusik (Dirigat: Andris Nelsons), als auch was die Sänger (Lohengrin: Jonas Kaufmann; Elsa: Anette Dasch; König Heinrich: Georg Zeppenfeld) betrifft. Hinzu kommt die besondere Atmosphäre im Innenraum. Die vielbeschriebene Akustik ist in der Tat bemerkenswert, im Zusammenwirken mit der musikalischen Qualität des Dargebotenen bedeutet das ein unvergleichliches Klangerlebnis. Auch das Publikum ist ein anderes als gewohnt. Entgegen allen Befürchtungen findet sich unter den Zuhörern ein erstaunlich hoher Prozentsatz von wirklichen Musikkennern und –liebhabern; zumindest hatte ich das Gefühl, dass die Allermeisten der Aufführung mit größtem Respekt, um nicht zu sagen: mit Andacht, folgten. Die gespannte Haltung ist im Zuschauerraum deutlich zu spüren und trägt das ihre zum „Erlebnis Bayreuth“ bei. 

Das Erleben wurde abgerundet durch einen sehr angenehmen Hotelaufenthalt, leider etwas außerhalb der Stadt. Am Aufführungstag gab es zunächst einen einführenden Vortrag, gefolgt von einem schmackhaften Mittagessen. Danach Transport zur Festspielhalle, Verteilung von Kissen (auch das gehört zur Legende Bayreuth: die auf Dauer ziemlich unbequeme Bestuhlung)- und das große Ereignis konnte starten. Punkt 16.00 Uhr wurden alle Türen geschlossen (im Zusammenspiel mit der recht engen Bestuhlung: nichts für Menschen mit Platzangst), das Licht im Zuschauerraum verlosch langsam, eine tiefe, gespannte Ruhe kehrte ein – und dann, aus dem Nichts: die ersten Klänge des Vorspiels. Ein Moment, den ich nie vergessen werde.

 

 

lapis exillis

Die ersten Klänge (Mauszeiger auf Gral lenken)

Nach der Aufführung (die durch zwei längere Pausen unterbrochen war; leider erübrigte sich aufgrund des schlechten Wetters ein Spaziergang durch den Festspielpark) ging es wieder zurück zum Hotel, wo ein opulentes Abendessen (um 23.00 Uhr…) wartete. Dabei gab es Gelegenheit, sich mit den anderen Gästen, die ein entsprechendes Arrangement gebucht hatten, ausgiebig auszutauschen, wozu es auch reichlich Bedarf gab.

Der vorhergehende Tag der Anreise war leider nicht ganz so „rund“ verlaufen. Mitten auf der Autobahn, kurz hinter Würzburg, fiel genau in einer Fahrbahnverengung der Motor plötzlich aus (Zündspule durchgebrannt!) - und ich blieb stehen. Einen Standstreifen gab es nicht. Es folgten Telefonate mit dem ADAC, mehrere Abschleppaktionen (u.a. von der Autobahnpolizei) und schließlich die Reparatur in einer Vertragswerkstatt. Erst am Abend nach insgesamt zehneinhalb Stunden „Reisezeit“ kam ich an. –  Schwamm drüber, dieses Ereignis konnte das Erlebnis Bayreuth nicht trüben! Die Stadt – und natürlich Wagners „Haus Wahnfried“(da, wo sein „Wähnen Frieden fand“)- habe ich mir noch am Morgen vor der Rückfahrt angeschaut.

 

   

Der "Meister"

 

...und sein Haus

 

Wenn es eine Beeinträchtigung gab, dann wohl durch die Inszenierung (von Hans Neuenfels). Die Kernidee bestand offenbar darin, die ganze Handlung auf eine andere Ebene zu heben, und somit zu einer neuen Betrachtungsweise zu kommen. Auf jeden Fall traten die Nebendarsteller meistens als Ratten auf. Das sterile, schwarz- weiße Bühnenbild erzeugte eine laborähnliche Atmosphäre, ein Eindruck, der durch die immer wieder auftretenden Statisten in hellen Kitteln verstärkt wurde. Das Ganze konnte man also als eine große Versuchsanordnung verstehen; die beteiligten Ratten-Menschen als eine besondere Art von Versuchstieren, die Frage, wer diesen Versuch durchführt, also in Zusammenhang mit der übergeordneten Gralswelt steht, aus der Lohengrin in die Versuchswelt geschickt wird, offen bleibend….Sicherlich ein nettes Gedankenspiel, das allerdings voraussetzt, dass man die ursprünglich von Wagner gedachte Fassung gut kennt. Die Inszenierung ist aus sich selber heraus – für „Nicht- Eingeweihte“ –  kaum verständlich. Ein Manko, wie ich finde.           

Außerdem wird durch die eingebrachte Metaebene, die ja auch einige komische Elemente zur Folge hat (Brautzug ausgeführt von possierlich trippelnden Ratten…) immer wieder eine Distanz beim Betrachter erzeugt. Eine Distanz, die das unmittelbare emotionale Erleben verhindert. Die dramatische Handlung kann kaum noch anrühren. Offenbar ist der Regisseur der Meinung, die Musik Wagners besäße soviel Süße, dass deren Wirkung konterkariert werden müsse. Eine typisch deutsche Angst vor zuviel Pathos. Stellt sich die Frage, ob dies heute noch notwendig ist.  

Möglicherweise hängt die Behandlung des Stoffes ja auch mit dem Aufführungsort Bayreuth und seiner besonderen Geschichte zusammen. Erstaunlich genug, dass die Festspiele trotz ihrer offensichtlichen Verbindung mit der Nazi-Obrigkeit schon bald nach dem Zweiten Weltkrieg fortgesetzt werden konnten. Eins der Rätsel, die mich beschäftigten, bevor ich nach Bayreuth fuhr.

Die Lösung mag erstaunlich einfach sein: sie liegt wahrscheinlich in der Einzigartigkeit der Musik begründet. Das könnte auch erklären, warum die Festspiele heute bei der Prominenz so beliebt sind (die zweite Frage, die mich vor dem Besuch bewegte). Egal, welche charakterlichen Makel Richard Wagner und seine Nachkommen auch hatten – die Musik übt schon beim ersten Erleben einen so unbeschreiblichen Zauber aus, dass der Zuhörer leicht damit infiziert wird und Lust auf mehr verspürt.

Dazu kommt, dass die Gesellschaft offenbar geneigt ist, der Kunst bzw. dem Künstler moralische oder menschliche Schwächen durchgehen zu lassen. Leni Riefenstahl, Gustav Gründgens, Heinz Rühmann- sie alle konnten nach der Nazizeit relativ bald ihren Tätigkeiten wieder nachgehen. Die Kunst, die über zeitlich- gesellschaftlichen Verflechtungen steht, der Künstler als Narr mit vielen Freiheiten, von gesellschaftlicher Verantwortung letztendlich entbunden – ein faszinierender, aber auch erschreckender Gedanke.      

Vor diesem Hintergrund stellt sich umso deutlicher die Frage, warum in Bayreuth nicht mehr im Sinne Richard Wagners Regie geführt wird – nämlich so, dass ein weniger verkopftes, dafür aber emotional unverstelltes, und damit ganzheitliches Erleben möglich wird.

Oder hängt die derzeitige Regiepraxis schlichtweg damit zusammen, dass jeder Regisseur meint, etwas eigenes, nie dagewesenes schaffen zu müssen- sich also nicht in den Dienst der Sache, sondern darüber stellt?

Das Erlebnis Bayreuth hat auf jeden Fall einen nachhaltigen Eindruck auf mich gemacht. Neugierig geworden, werde ich mich weiterhin mit Wagner und seiner Musik beschäftigen. Und - wer weiß, wodurch sich dazu die Gelegenheit ergibt?-eines Tages werde ich sicherlich noch einmal zu den Bayreuther Festspielen fahren.

        

 

Mit 40... hat man noch Träume | klio@nexgo.de