Chronik eines Sabbatjahres

Der 3. Oktober: "11plus5"- eine Aktion zum Tag der Deutschen Einheit

(2.- 3. Oktober 2010) 

Interview mit KölnCampus, 28.9.2010     Deutschland, ich bin ein Teil von dir

Die Aktion (Mauszeiger auf Logo)

 

...ihre Hymne

  

...und ihr Team (Alex, Christoph, Mario und Claudia)

Bei den alten Griechen galt es als schick, viel Zeit auf philosophische Betrachtungen zu verwenden. Das konnte Gedanken über Staat und Gesellschaft durchaus mit einschließen. Für mein Sabbatjahr beschloss ich, dem antiken Ideal zumindest für kurze Zeit nachzueifern und mich intensiver mit einer politisch-gesellschaftlichen Fragestellung zu beschäftigen. Aber nicht in Form von parteilicher Arbeit (was der Vorstellung des Philosophierens mit Sicherheit widersprochen hätte), sondern eher im Sinne eines künstlerisch freien Projekts.

Die konkrete Idee für einen solchen Zeitvertreib erhielt ich von meinem Freund Christoph Riedl. Warum nicht versuchen herauszufinden, wie sich der Tag der Deutschen Einheit mit Leben füllen ließe? In den meisten anderen Ländern stellt der dortige Nationalfeiertag ein besonderes Ereignis dar. Was aber passiert in Deutschland an einem solchen Datum?

Christoph und ich wollten ausprobieren, ob es nicht möglich sei zum Tag der Deutschen Einheit eine symbolische Gemeinschaftsaktion durchzuführen. Die Idee der Gemeinschaft erschien uns für einen modernen Staat wie Deutschland durchaus einige Mühen wert- natürlich in klarer Abgrenzung zu nationalistischen Vorstellungen aller Art.

Wir beschlossen eine deutschlandweite Aktion zu starten, die spannend sein sollte und an der möglichst viele teilnehmen könnten. Unsere ursprüngliche Idee bestand darin, am 3. Oktober von Berlin ausgehend innerhalb von 24 Stunden mit einem Auto durch alle 16 Bundesländer zu fahren. In jedem Bundesland sollte es einen Anlaufpunkt geben, wo wir von den dahin eingeladenen Mitbürgern erhofften, regionale Spezialitäten zu erhalten. Mit diesen wollten wir - wieder in Berlin angelangt - ein 16-Bundesländer-Essen veranstalten. Bei dieser Aktion hätte der sportliche Aspekt, die Tour tatsächlich in 24 Stunden zu schaffen, im Vordergrund gestanden. Inhaltlich wäre das Ergebnis eher dünn ausgefallen. Für eine echte Begegnung mit den Menschen in den Regionen hätte es einfach an Zeit gefehlt.

Daher wandelten wir die Idee ab. Der Plan sah nun vor, beginnend am 2. Oktober in Düsseldorf, mit zwei Teams auf einer Nord- und auf einer Südroute insgesamt durch alle 16 Bundesländer bis nach Berlin zu reisen. Unterwegs wollten wir herausfinden, ob und wie nach Meinung der Bundesbürger der Tag der Deutschen Einheit gefeiert werden sollte.

Genauer gesagt, wollten wir an ausgewählten Orten, die mit der deutschen Teilung bzw. Wiedervereinigung im Zusammenhang stehen, jeweils einen Tisch mit einer Webcam aufbauen. Dort konnte dann jeder, der etwas dazu zu sagen hatte, seine Idee zur Gestaltung des 3. Oktobers vorstellen. Die Ergebnisse sollten dann auf eine eigens dafür frei geschalteten Internet-Seite übertragen werden. Außerdem wollten wir gelungene Vorschläge in schriftlicher Form auf einer weiteren Seite vorstellen.

Nun war eine aktive Internetgemeinde gefragt, um über die besten Ideen abzustimmen. Die Vorschläge, die bis zum Ende der Fahrt online die meiste Zustimmung bekommen würden, sollten noch einmal in einer Endausscheidung gegeneinander antreten (auch per Netzabstimmung). Der Abstimmungsbeste sollte dann schließlich an den Deutschen Bundestag weitergerreicht werden.

So weit der Plan - der zunächst einmal einige technische Vorbereitungen erforderte. Jedes Team musste einen Laptop haben, der sich überall ins Internet einklinken konnte. Es musste eine eigene Webseite für die Abstimmungen programmiert werden. Außerdem war es erforderlich, eine Möglichkeit zu finden, Webcamaufzeichnungen direkt ins Netz zu übertragen und dort auch zu speichern. 

Darüber hinaus mussten umfangreiche Routenplanungen angestellt, weitere Mitfahrer für unsere Teams gesucht und die Presse angesprochen werden (was z.B. zum oben anklickbaren Radio-Interview mit KölnCampus führte). Last, but not least galt es die sozialen Netzwerke über Facebook, Twitter etc. zu informieren, um eine möglichst grosse Teilnehmer- Aktivierung für den Zeitraum unserer Deutschlandfahrt zu erreichen.

Um es kurz zu machen: Die organisatorischen Herausforderungen waren zwar nicht gerade unerheblich, konnten aber bewältigt werden. Allein die Frage, in wie weit die Aktivierung der Internet- User klappen würde, blieb offen. Immerhin hatte unsere Internetseite (11plus5.de) einigen Zulauf, und auch die Gästebucheintraege klangen vielversprechend. Doch würden wirklich Menschen zu unseren Treffpunkten kommen, um mit uns über die Gestaltung des 3. Oktobers zu sprechen? 

   

Start in Duesseldorf

 

In Mainz

Wir starteten an einem wolkenverhangenen Samstagmorgen in Düsseldorf, in direkter Nähe eines Berliner-Bären-Standbilds. Tatsächlich suchten uns ein paar Neugierige auf und wir konnten die ersten Vorschläge einsammeln. Allerdings blieb der Zulauf deutlich hinter unseren Erwartungen zurück. Auch vor die Webcam wollte niemand treten. Wir ließen uns davon nicht entmutigen, und beide Teams traten ihre Reisen an.

Während Christoph mit seiner Begleiterin Claudia Richtung Bremen fuhr, wo die diesjährigen offiziellen Einheitsfeiern stattfinden sollten (Bericht des Nordteams: hier), machte ich mich mit Alexander und Mario auf gen Süden. Unsere Route sollte am ersten Tag (dem 2. Oktober) über Wiesbaden, Mainz, Saarbrücken und Stuttgart bis nach Würzburg führen; dort wollten wir am Morgen des 3. Oktober erneut starten, um über Erfurt und Leipzig schließlich nach Berlin zu gelangen.

Die technische Seite der Planung bewährte sich. Es gelang uns, den vorher angesetzten Zeitplan einzuhalten, und auch die Elektronik ließ uns (von kleineren Aussetzern - wie nebulösen Funklöchern - abgesehen) nicht im Stich. Zudem stellte ich fest, dass ich mit einem ausgezeichneten, sehr belastbaren Team unterwegs war! Dafür kann ich nur dankbar sein..

Sogar die Presse ließ sich aktivieren: Wir wurden in Mainz von einem Reporter und dem Kameramann einer Online- Zeitung erwartet. Auch Christoph und Claudia konnten in Kiel ein Interview geben. Die daraus resultierenden Berichte waren durchaus positiv (Beispiel Mainz). 

   

Ein Stück Mauer in Saarbrücken

 

Frühmorgens in Würzburg

Was nicht funtioniert hatte, war die Aktivierung der Internet-Gemeinde. An keinem unserer weiteren Zielorte erwartete uns jemand, der vorab über unser Kommen informiert war und bereits einen Vorschlag zum Thema parat hielt. Überall mussten wir Passanten ansprechen und sie erst einmal zum Nachdenken über den 3. Oktober motivieren. 

Dabei ergaben sich durchaus spannende Gespräche. Tatsächlich hatten sich die wenigsten vorher mit der Gestaltung des Einheitstages beschäftigt, viele fanden die Frage danach aber berechtigt und ließen sich zu einigen Gedanken anregen. Vor allem in den westlichen Bundesländern stellten die Befragten immer wieder einen Mangel an persönlicher Beteiligung bei den Feiern zum 3. Oktober fest- und äußerten den Wunsch danach, dass dies verändert werden müsste. 

   

Der Standort in Erfurt

 

...und in Leipzig

Die Reaktionen in den neuen Bundesländern fielen etwas anders aus. Hier wurde die Bedeutung der Wiedervereinigung besonders betont. Darüber hinaus beklagten sich einige Passanten darüber, dass die Deutschen im Osten nach wie vor anderes behandelt würden als im Westen. Überzeugende Ideen, wie der Einheits-Tag gefeiert werden sollte, wurden aber viel seltener genannt. Überhaupt begegnete man unserer Umfrageaktion im Osten Deutschlands häufiger mit Misstrauen, um nicht zu sagen, mit Ablehnung (was auch schonmal zu unschönen Äußerungen führte...) .

Allerdings konnten wir feststellen, dass es in den neuen Bundesländern am 3. Oktober eine Reihe von Feiern in kleineren Städten gab- etwas, was hier im Westen eher unbekannt zu sein scheint.

Am meisten überraschte uns allerdings, dass wir in Berlin am frühen Abend des 3.Oktober in ein großes, buntes Volksfest gerieten. Hatte es nicht im Vorfeld geheißen, in Berlin fände nichts großartiges statt, um den Feiern in Bremen keine Konkurrenz zu machen? Dass dort trotzdem irgendetwas organisiert werden würde, war uns ja klar - aber nicht in dieser Größenordnung! Berlin halt, arm zwar, aber immer sexy... 

Wir genossen auf jeden Fall das Wiedertreffen unserer Teams - nur Mario hatte uns leider schon in Leipzig verlassen müssen - und feierten noch ein bisschen mit, bevor wir uns in der Nacht auf den Heimweg machten.

Wenn ich nun auf die Aktion zurückblicke, stelle ich zunächst einmal fest, dass ich an einem ziemlich aufwändigen, in vielerlei Hinsicht aber lohnenswerten Projekt teilgenommen habe. Schon allein das gelungene Teamwork möchte ich hier noch einmal hervorheben. Auch die vielen organisatorischen Erfahrungen (nicht zu letzt die Bewältigung der technischen Probleme) kann ich als positiv verzeichnen. 

Hinzu kommen einige bemerkenswerten Vorschläge der Passanten - wobei wir diese dazu allerdings erst anregen mussten. Na ja, immerhin haben die jeweils besten der einzelnen Bundesländer ein schickes "11plus5"- Shirt gewonnen! Die meiste Zustimmung hat übrigens die Idee eines Saarbrückeners bekommen: Der Tag solle entpolitisiert werden und der Staat den Bürgern ein Geschenk machen, indem jeder am 3. Oktober freien Eintritt zu allen kulturellen Einrichtungen erhält (Weitere interessante Vorschläge sind hier zu finden).

Die besten Ideen wurden von Christoph nach Berlin weitergeleitet - und tatsächlich gab es Antworten! Und zwar vom Kanzleramt, Bundesrat, dem Innenministerium und vom Bundestagspräsidenten. Die Tatsache, dass unser Projekt auf diese Weise wahrgenommen wurde, lässt sich durchaus als Erfolg verbuchen (Zu den Antwortbriefen geht es hier. Die Lektüre lohnt sich!)          

Allerdings muss auch gesagt werden, dass die Aktivierung der sozialen Netzwerke des Internets offensichtlich nicht so einfach war wie gedacht. Das zeigte sich nicht nur daran, dass an den Treffpunkten so gut wie nie vorab informierte Interessenten auf uns warteten (Ausnahmen: Düsseldorf und die Presse in Mainz...), sondern auch an der insgesamt eher mäßigen Abstimmungsbeteiligung im Netz. In dieser Beziehung ist die Aktion weniger gut gelungen.

Auch wenn das Gesamtergebnis dadurch etwas getrübt wird  - es ist deswegen nicht weniger wertvoll.

          

        

Mit 40... hat man noch Träume | klio@nexgo.de