Chronik eines Sabbatjahres

Ab in den Süden- mit dem Fahrrad bis nach Italien

(19.Juli- 2.August 2010)

 

Zum Schluss zieht die Straße noch einmal steil an. Bloß nicht aus dem Tritt kommen! Die Autobahn über mir verschwindet in der Höhe hinter einer Felswand. Da oben muss er sein, der legendäre Übergang ins Land, wo die Zitronen blühen. Nur noch ein paar Meter – ohne Absitzen natürlich, das ist Ehrensache.

Dann ist es geschafft, und ich stehe am Eingang des Dorfes Brenner, in 1374 m Höhe. Der südlichste Punkt meiner Reise ist erreicht. Trotz des regengrauen Umfelds kann ich mich eines gewissen Hochgefühls nicht erwehren. Ich habe mein Ziel erreicht – nach zwölf Tagen Fahrt und 917 Kilometern bin ich von Köln aus mit dem Fahrrad bis zum Brennerpass nach Italien gekommen.

 

   

Gemeinsamer Start

 

Am Ziel

Die Tour begann viel versprechend, wurde aber schon bald zur Härteprüfung. Die ersten 30 km radelte ich frühmorgens bei strahlendem Sonnenschein zusammen mit meinem guten Freund Christoph bis Bonn. So weit, so gut. Nach einer kleinen Pause ging es weiter, nun auf mich alleine gestellt. Das Ziel hieß Koblenz, bzw. Bad Ems, 12 km dahinter. Eine malerische Strecke mit vielen schönen Eindrücken – wenn die Sonne es nicht ein bisschen zu gut gemeint hätte. Zu allem Überfluss hatte das Fahrrad in der Nachmittagshitze auch noch einen Platten. Immerhin war ich ausreichend auf so etwas vorbereitet, so dass es schon bald weiter gehen konnte. In Koblenz folgte der nächste Rückschlag: Der angestrebte Aussichtspunkt, die Festung Ehrenbreitstein, war komplett abgesperrt. Mist. Dann eben so zu der Übernachtungsstätte – der Jugendherberge in Bad Ems. Laut meiner Handy-Navigation waren es nur noch 12 km bis dahin. Die führten allerdings quer durch mittelrheinisches Hügelland und hatten es in sich! Erste Zweifel kamen auf, ob ich mich bei dem Gedanken der Brennererklimmung nicht doch etwas verschätzt hatte...   
 

      

Die "Brücke" bei Remagen

 

Die Marksburg bei Koblenz

 

Blick von der Loreley

Weitere Herausforderungen bot der zweite Tag: Nach der Hochfahrt zum Loreleyfelsen ging es weiter flussaufwärts in Richtung Mainz. Leider auf der falschen Rheinseite (Rechts: nicht zu empfehlen), was endlos lange Kilometer auf einer schattenlosen, viel befahrenen Bundesstraße bedeutete. Hinzu kam die Gluthitze der Sonne. Noch einmal hatte ich einen Platten. Erneut stellte sich die Frage, ob ich unter diesen Umständen jemals ans Ziel gelangen würde.

 

      

Burg Kaub

 

Pause in Rüdesheim

 

Auf einem Feld kurz vor Mainz

Eine kurze Pause in Rüdesheim munterte mich wieder auf, und ich schaffte auch die restlichen 30 km bis Mainz. Nicht ohne weitere Panne: Diesmal rutschte mir mein Navigations-Handy bei voller Fahrt aus der Hand und knallte auf den Asphalt. Erstaunlicherweise hat es das ohne weitere Schäden überstanden – ein Riesenglück, weil mir das Gerät noch so manches Mal gute Dienste bei der Wegfindung leisten sollte (siehe auch: Velo-Handy-Navi).      

 
      

Der Mainzer Dom

 

Marc Chagall - in a blue world

 

Worms- bei 36°C

Da am nächsten Tag nur knapp 50 km bis nach Worms auf dem Programm standen, nahm ich mir am Morgen Zeit, die Mainzer Innenstadt in aller Ruhe zu erkunden. Als kleines Highlight hatte ich mir den Besuch der Stefanskirche mit ihren blauen Chagallfenstern vorgenommen. Auch dieses Mal nahm mich die magische Wirkung des Innenraums gefangen. Nur schwer konnte ich mich davon lösen, um weiterzufahren.

Nach Worms gelangte ich ohne weitere Zwischenfälle, auch wenn die Hitze an diesem Tag ihren Höhepunkt erreichte (36°C im Schatten). Danach schlug das Wetter um, was zwar einerseits Abkühlung, andererseits aber auch Regennässe bedeutete.

 

Ruinenromantik in Heidelberg

Der Blaue Turm

Bad Wimpfen

Heilbronn erreichte ich am Folgetag noch weitestgehend trockenen Fußes – nicht ohne vorher einen Abstecher zu der romantischen Schlossruine von Heidelberg gemacht zu haben. Am Abend des vierten Tages fielen aber schon die ersten Tropfen, weswegen sich mir die Käthchenstadt nicht erschloss. Im Gegensatz zu Bad Wimpfen, einem kleinen Örtchen mit mittelalterlichem Flair, wo ich einen wunderbaren Nachmittag verbracht hatte. Natürlich inklusive Besteigung des Blauen Turmes und Besuch der dort oben lebenden Türmerin! 

 

   

Mystisch - der Hohenstaufen

 

Sonntag in Augsburg

Die nächste Etappe führte zum Hohenstaufen bei Göppingen und stellte aufgrund des Geländes wieder höhere Anforderungen. Dazu kam, dass mich der drohende Regen immer weiter trieb. Irgendwie gelang es mir auch an diesem Tag noch trocken anzukommen und den geheimnisvoll die Umgebung überragenden Stauferberg zu erklimmen. Die Besichtigung der Burgruinen wurde bereits ein feuchtes Unterfangen; interessant war es trotzdem, auch wegen des angrenzenden kleinen Heimatmuseums.  

Die Fahrt nach Augsburg fiel leider vollkommen ins Wasser. Wie gut, dass ich ordentliche Regenkleidung dabei hatte. Ein Vergnügen war das trotzdem nicht! Kurzfristig dachte ich sogar darüber nach, die Tagesroute zu verkürzen und anstelle der geplanten 120 nur 60 km bis nach Ulm zu fahren. Das hätte aber weniger Zeit für den Starnberger See am Folgetag bedeutet.

Nachdem ich die Serpentinen bei Geislingen an der Steige (Nomen est Omen) bewältigt hatte, beschloss ich allerdings, das ursprünglich geplante Tagesziel anzusteuern. Was sich als eine gute Idee erwies, lernte ich doch in der Jugendherberge zwei ausnehmend nette Zimmergenossen kennen, mit denen ich einen sehr netten Abend in einem der regionalen Brauhäuser verbrachte.   

 

   

In Bayern

Sis(s)i - das Museum

 

Schloss Possenhofen

Der Sonntag nun machte seinem Namen alle Ehre und ich hatte nach einer kleinen Stadtbesichtigung in Augsburg eine wunderbare Fahrt durch das bayerische Oberland zum Starnberger See. Dort besuchte ich zunächst das kleine Sisi-Museum, und natürlich auch Schloss Possenhofen, wo die Prinzessin aufwuchs (an dieser Stelle gestehe ich ein gewisses Faible für die österreichische Kaiserin). Eine Überfahrt zur Roseninsel musste natürlich ebenfalls sein. Das Seeufer bot viele schöne, allzu schöne Ausblicke. Das Bewusstsein, dass hier in der Nähe der Leichnam des „Märchenkönigs“ Ludwig II unter rätselhaften Umständen gefunden wurde, erhöhte den seltsamen Reiz des Ortes noch.

 

      

Bei Starnberg

 

Überfahrt zur Roseninsel

 Unergründlich tiefer See

Etwas melancholisch gestimmt verließ ich den See. Sei es, weil ich in Gedanken war, sei es, weil es das Schicksal so wollte, zehn Kilometer nach der Abfahrt rutschte ich plötzlich auf einem Schotterweg weg und stürzte, so dass das Vorderrad vollkommen verzogen war. Außer ein paar Schrammen hatte ich selber glücklicherweise nichts abbekommen, aber das Rad musste erstmal in die Werkstatt. Bei der Gelegenheit wurden auch gleich die Bremsen nachgebessert, in Anbetracht der nahenden Alpendurchquerung sicherlich eine sinnvolle Maßnahme.. 

 

Ein Dorf und seine Passion

Die Festspielhalle

Nach dieser Verzögerung konnte ich dann endlich einen der Höhepunkte der Reise ansteuern: Oberammergau. Das Dorf, wo alle zehn Jahre die halbe Einwohnerschaft ein Passionsspiel aufführt. Und ich hatte eine Karte für eine Aufführung!  Eine Aufführung, die ich so schnell nicht vergessen würde. Das hatte mit Laienspiel nichts zu tun. Selten wurde mir die Passsion Christi so eindringlich vor Augen geführt. Mit einer modernen, klaren Inszenierung, gut verständlich, und einer überraschend professionellen musikalischen Gestaltung. Ein einzigartiges Erlebnis! (Mehr dazu unter: Oberammergau- ein Dorf und seine Passion)


   Lohengrin- Vorspiel 3. Aufzug

Der Linderhof- Versailles im Kleinformat

 

Die Venusgrotte- eine Wagnerkultstätte (Der Mauszeiger bringt das Bild zum Klingen)

Von Oberammergau aus machte ich noch einen kleinen Ausflug zum Linderhof, dem Lieblingsaufenthalt Ludwigs II. Welch merkwürdige Anlage, dieses Mini-Versailles mit Wagner-Kultstätte (Venusgrotte genannt). Was für ein seltsamer Mensch, der diese eigenwillige Fantasiewelt geplant hatte, und doch so unglücklich war.  

 

   

Beim Olympiadorf Seefeld

 

Am Wegesrand

Auf den kulturellen Höhepunkt der Reise sollte auch schon bald das landschaftlich eindrucksvollste Erlebnis folgen: Meine Wanderungen durch die Gebirgswelt des Stubaitals. Zuvor musste aber noch der Weg nach Innsbruck über Mittenwald und Seefeld gemeistert werden, was die Überwindung einiger Höhenmeter bedeutete. Zu meiner Erleichterung stellte ich fest, dass dies keine allzu großen Mühen mehr bedeutete. Die Abfahrt nach Innsbruck schließlich spottete jeder Beschreibung (eigentlich hätte ich sie aufgrund des Gefälles gar nicht nehmen dürfen…), die Stadt selber nahm mich schon bald für sich ein. So beschloss ich, meine eigentlich für den vorletzten Reisetag geplante Brennererklimmung möglichst vorzuziehen, um zum Abschluss noch etwas mehr Zeit für die vielen Sehenswürdigkeiten zu haben.

 

   

Auf 2100m Höhe

Seltsam, durch den Nebel zu wandern

 

Memento mori

 

   

Adolf- Pichler-Hütte

 

Begegnung am Morgen

In der Innsbrucker Jugendherberge lernte ich erneut nette Zimmergenossen kennen, mit denen ich einen anregenden Abend in der Innenstadt verbrachte. Anderntags in der Frühe ging es dann hinaus in die Bergwelt. In dem kleinen Ort Fulpmes ließ ich das Fahrrad stehen, und bestieg nur noch mit einem Rucksack bepackt eine Gondelbahn, die mich auf 2100m Höhe brachte. Eine zweitägige Wanderung um die bei Kletterern berühmt-berüchtigten Kalkkögel stand an. Leider spielte mir auch hier das Wetter einen Streich, so dass sich die Regenkleidung erneut bewähren musste. Dennoch war die Wanderung ein Erlebnis, das ich nicht missen möchte. In großer Einsamkeit durchstieg ich die karge Landschaft oberhalb der Baumgrenze, inmitten von Nebelschwaden. Hier und da ein Murmeltierpfiff; hinter einer Wegkehrung eine kleine Gruppe Gemsen, seltsam gedämpft aus der Ferne das leise Gebimmel der Kuhglocken. Äußerlich durchnässt,  innerlich aber vollkommen im Einklang mit mir und der Welt erreichte ich die Adolf- Pichler- Hütte, wo ich übernachtete. Beim abendlichen Durchblättern eines der ausliegenden Bücher (von Heinz Zak, offenbar einer der Extremkletterer des Stubaitals) erregte eine Bildunterschrift meine Aufmerksamkeit: „Jeder Tag draußen ist ein Geschenk“, so hieß es. Wie wahr.

Der zweite Teil der Wanderung am nächsten Tag verlief ähnlich dem vorherigen. Erst gegen Mittag klarte es auf. Da ich unter diesen Umständen kaum längere Pausen machte, kehrte ich schon recht früh am Mittag zu meinem Fahrrad zurück und machte mich auf in Richtung Matrei am Brenner. Von dort waren es nur noch 16 km bis zum südlichsten Punkt meiner Reise! Und so beschloss ich, bereits am zwölften Tag der Tour den Brennerpass zu erklimmen.

In Matrei fand ich eine nette Unterkunft, kurioserweise direkt unterhalb der Brennerautobahn, was allerdings eher optisch als akustisch störend war.

 

Aufstieg zur Serles

Auf dem Gipfel

Augenblick 

Am Samstag stellte ich mich der letzten sportlichen Herausforderung: Der Erklimmung der Serles, eines 2717m hohen Gipfels – diesmal ohne die Hilfe einer Gondelbahn. Bei herrlichstem Wetter machte ich mich auf, und wurde zu guter Letzt mit einer unbeschreiblichen Aussicht auf die gesamte Umgebung belohnt. Ein wirklich krönender Abschluss. Etwas wehmütig stieg ich nach dem Eintrag ins Gipfelbuch wieder hinab, läutete dies doch das Ende meiner ersten Reise ein.

 

   

Die Hofburg in Innsbruck

 

Blick aufs Wahrzeichen der Stadt

Zurück in Innsbruck erkundete ich noch - diesmal mit mehr Zeit und bei strahlendem Sonnenschein - die Stadt und ihre Historie. Die Hofburg, das Goldene Dacherl, Dom und Hofkirche, das war sicherlich ein kleiner Marathon durch die Habsburger Geschichte, bedeutete aber auch manch anregende Begegnung mit Unbekanntem und zugleich seltsam Vertrautem. Hier und da wäre ich gerne noch länger geblieben.

 

   

Eingang zu den Kristallwelten

 

Innen drin

Für den Nachmittag des letzten Tages hatte ich noch ein Kontrastprogramm eingeplant: Einen Besuch der von André Heller gestalteten Svarowski Kristallwelten. Noch einmal eine künstliche Fantasiewelt, diesmal eine des ausgehenden 20. Jahrhunderts. Sicherlich gab es dort sehr beeindruckende und überraschende Kreationen – und doch, wie armselig und oberflächlich erschienen diese gegenüber den Schöpfungen der Natur und des realen Lebens. „Lebe den Traum“, so hieß es am Ausgang. Eine bedenkenswerte Aufforderung - wie auch immer man sie verstehen mag.          

 

Mit Eindrücken erfüllt setzte ich mich am Morgen des folgenden Tages in den Zug und machte mich auf die Heimreise. Die Fahrt folgte über weite Strecken meiner Route bei der Hinfahrt, so dass ich noch einmal die einzelnen Stationen Revue passieren lassen konnte.

Ja, ich habe die mir selbst gesteckten Ziele erreicht und nicht kapituliert, wenn ich an meine Grenzen kam. Einige Kilogramm habe ich abgenommen und fühle mich lebendig wie schon lange nicht mehr. Unvergessliches habe ich erlebt und wieder einmal gesehen, dass man keine Fernreise machen muss, um einzigartig schöne Orte zu entdecken.

Vor allem aber ist mir klar geworden, dass es die kleinen, nicht planbaren Dinge am Wegesrand sind, die den besonderen Reiz einer Reise ausmachen- und nicht allein die Höhepunkte am Ziel.

 

 

Mit 40... hat man noch Träume | klio@nexgo.de